Milwaukee 2019
What stereotypes do you have of Americans?
Vor dieser Frage standen die acht tapferen Ritter und zwei liebreizenden Burgfräulein, als ein Lehrer der Marquette University Highschool in Milwaukee sie in seinem Unterricht damit konfrontierte. Heute, einige Wochen danach, sehen sie klarer und können hier einen Vergleich zwischen gängigen Vorurteilen (VU)und den eigenen Erfahrungen (Erf) anstellen. Hier ist er:
VU: Amerikaner kennen keine Geschichte.
Erf: Da stand sie. Zuvor noch im Fernsehen als eine historische Figur betrachtet, nun im Gespräch mit uns, den Menschen, die aus einem fernen Land kamen und nach einem berauschenden zweistündigen Gospelfest - auch Gottesdienst genannt - ohne Zwang die 92-jährige Schwester von Martin Luther King hier in Atlanta umringen. Erlebte Geschichte, so nah, wie man sie in Büchern sicher nicht erfahren kann.
Und zudem: Wenn das keine Erfolgsgeschichte ist! Die Marquette University High School Wisconsin und wir, das Christoph-Scheiner-Gymnasium Ingolstadt, wir feiern das 30jährige Bestehen unserer Partnerschaft und noch besser, unserer Freundschaft. Ein wahrhaft historisches Ereignis in diesen unbeständigen Zeiten; erfolgreich getragen von beiden Seiten des „Teiches“ – wie es nicht zuletzt der Principal der MUH, Direktor Jeff Monday, bei der Begrüßung deutlich in Worte fasste.
VU: Amerikaner sind oberflächlich.
Erf: Tja nun, wenn man überall, im Bus oder in der Schlange vor einem Kiosk stehend, angesprochen wird und freundlich seine Lebensgeschichten austauscht, dann ist das für uns doch eher ungewöhnlich. Ist das oberflächlich? Wenn man im Unterricht nach den philosophischen Wurzeln einer Ansicht, hier war es Platon, gefragt wird oder nach seiner Ansicht über das neueste Papier, das der Papst veröffentlicht hat, dann muss man tief in die Schatzkammer seines Wissens und noch mehr seiner Englischkenntnisse greifen, um hier Rede und Antwort stehen zu können.
VU: Die Amis sind sportverrückt.
Erf: Oh ja. Wenn man sieht, dass die Schule unzählige Sportteams, die alle in der ersten Liga mitspielen, anbietet, wenn man zum Baseballspiel eingeladen wird, um am nächsten Abend sofort wieder zum Basketballspiel zu gehen, damit man die besten Spieler der Welt (momentan ist Milwaukee die Nummer eins im Basketball und im Baseball) zu sehen bekommt, wenn man dann auch noch Backstage mit den Cheerleadern und dem Maskottchen unter Begleitung eines Dee Jay selbst Basketball spielen muss, wenn man sofort ins Kletterteam der Schule integriert wird, dann ist das für einen Ingolstädter doch erstaunlich.
VU: Alles ist größer, eben big.
Erf: Die größten Tower von Chicago sind bekannt, vielleicht auch die größte Rolltreppe, die im CNN- Gebäude in Atlanta rollt, welches den größten Flughafen der Welt besitzt. Wahre Größe zeigte sich aber vor allem in den Herzen der Gasteltern, die einem jeden Wunsch von den Lippen ablesen und Meister der Organisation sind.
VU: Amerikaner lieben und beherrschen die Kunst des Showbusiness, der Blockbuster und Events.
Erf: Sprachlosigkeit angesichts des Tempos der Events. Eben noch waren wir in Chicago in die Welt der “Game of Thrones“ gestolpert, um das Spiel mit dem nötigen Ernst selbst zu spielen, schon schleppen uns am nächsten Tag die Austauschpartner nach einem Willkommensessen in die broadwayreife Schüleraufführung des Musicals „Newsies“, natürlich im eigenen Schultheater. Wenn man dann von der Vielfalt und der Größe des Museums of Modern Art gesättigt war, konnte man sich schon darauf freuen, selbst auf dem Sattel eine Harley-Davidson zu sitzen und zumindest zu posen.
VU: Amis sind Meister der Businessideen.
Erf: Eine Auktion zur Förderung der Schule und von Schülern abzuhalten, klingt sehr ansprechend. Wenn man erlebt, dass Eltern und Schulpersonal zusammenarbeiten, sodass ein ganzer Abend zur Gewinn schöpfenden Aktion wird, der in der Musik wie im Essen die gleiche Handschrift trägt, dann staunt man nicht mehr über die gewaltigen Summen, die für Cookies, die der Schulgeistliche backt, oder für Suppen, die der Chef der Anstalt für einen kocht, in der Versteigerung erzielt werden. Die Zahl der Ideen war nicht zu erfassen.
VU: Alles ist irgendwie anders.
Erf: Natürlich. Wenn jeden zweiten Tag an der Schule zwar die gleichen Stunden stattfinden, aber rückwärts gezählt werden; wenn dich die Leitung der Schule nach 8 Stunden immer wieder persönlich am Ausgang verabschiedet; wenn dich dein Austauschpartner mit 16 Jahren zur Schule, zur Mall oder zum Basketballspiel fährt; ja dann sind die Dinge irgendwie anders.
VU: Alles ist fastfood.
Erf: Vieles ist „fast“, manches gemächlich. Die Kantine der Schule hat jedenfalls einen eigenen Koch. Und alle Burger in allen Ketten durchzutesten, das hat noch keiner geschafft. Allerdings hat fast alle der Getränkeausschank im Zentrum von Coca-Cola, Atlanta, geschafft, wenn man sämtliche Produkte dieses Herstellers in allen Geschmäckern der Welt frei zapfen kann und das auch getan hat.
Nun zum Schluss ein Vorurteil, das dem Schüleraustausch manchmal entgegenschlägt:
VU: Man lernt in der Sprache nicht viel hinzu und macht eigentlich nur Urlaub. Aus Büchern, dem Unterricht und in Medien kann man alles zu Hause oder in der Schule lernen.
Erf: Das im Artikel Ausgeführte spricht eigentlich schon für sich allein, man könnte hier schweigen. Vielleicht aber doch eine kleine Anmerkung. Tiefer in eine Sprache eintauchen kann man nicht, als wenn man jeden Tag sich durch 8 Stunden Unterricht, Gespräche dazwischen, Gespräche beim Frühstück oder am Abendtisch, Verhandlungen über die Wochenendgestaltung oder… mit Anstrengung und zugleich Freude kämpft. Und diesen Kampf haben mit Bravour die acht tapferen Ritter und ebenso tapferen Burgfräulein hervorragend bestanden.